Home-Office – Fluch und Segen
Versteht mich bitte nicht falsch: ich bin im Grunde ein großer Befürworter von Home-/ Mobile-Office Regelungen und allgemein ein Fürsprecher einer, aus meiner Sicht, längst überfälligen Flexibilisierung der Arbeitskultur. Die Corona-Krise hat insofern sicherlich einen Beitrag geleistet, indem sie gezeigt hat, dass vieles möglich ist, was vorher undenkbar erschien.
Wir sind keine defizitären Computer
ABER: Mir erscheint die aktuelle Diskussion zu einseitig und im Grunde genommen am Thema vorbei. Viele Unternehmen preisen die neue Home-Office Regelung aufgrund der gleichbleibenden oder neugewonnen Produktivität an. Vom „Proof of Concept“ wird geredet. „Weiter so“ ist ein lautes Credo dieser Tage. Manche Unternehmer berechnen bereits wie viel Büro rationalisiert werden könnte. Doch was bleibt dabei eigentlich auf der Strecke? Was ist der Preis dafür? Diese Seiten werden mir nicht genügend thematisiert.

Mehr „Home-Office“ heißt auch weniger „Work-Relationship“
Zum einen: Menschen sind freilich keine Produktivitätsfaktoren! Und dass wir zeitweise auch mal ineffizient arbeiten, macht uns nicht zu defizitären Computern oder Maschinen.
Zum anderen: Ich persönlich kenne kaum jemanden, der noch wirklich “heiß” ist auf Videocalls und virtuelle Workshops. Wer will denn schon noch mehr E-Mails, Messages, Sprachnachrichten oder digitale Projektmanagementtools, um die Zusammenarbeit abzustimmen? Mehr „Home-Office“ heißt auch weniger „Work-Relationship“. Das Persönliche, der soziale Austausch ist immens wichtig. Wofür?
“In einer Zeit, in der Algorithmen unsere Vorlieben und Interessen kennen, (…) ist es umso wichtiger mit zufälligen, nicht vorselektierten Meinungen und Ansichten konfrontiert zu werden.”
In einer Zeit, in der Algorithmen unsere Vorlieben und Interessen kennen, dementsprechend Informationen und Impulse an uns ausspielen, ist es umso wichtiger mit zufälligen, nicht vorselektierten Meinungen und Ansichten konfrontiert zu werden. Es braucht reellen Raum für Begegnung, sonst kann das, was im Zuge des florierenden Onlinehandels als „Versteppung der Innenstädte“ beschrieben wurde, vielleicht bald auch auf das gemeinsame Arbeiten zutreffen.
Arbeitsbeginn und -ende werden weniger erlebbar
Zu guter Letzt: Dort wo die Verschmelzung zwischen Arbeitsplatz und Zuhause zunimmt, ist auch klar, Arbeitsbeginn und -ende werden weniger erlebbar. Flexibilität geht eben in beide Richtungen, zu mehr Freiheit und mehr Eigenverantwortung. Da drängt sich für mir die Frage auf: Wie können wir dafür sorgen, dass die neue Flexibilität uns nicht mehr belastet als entlastet?
Was nun aus der Corona-Not funktioniert hat, ist noch lange keine Blaupause für die zukünftige Arbeitswelt. Neben dem Wunsch nach Veränderung ist die Frage „Was wollen wir uns bewahren?“ ebenso wichtig. Hierfür würde ich mir ein größeres Bewusstsein wünschen.
Was im „Büro-Zuhause“ versäumt wird
Ja ich weiß: Es gibt nicht nur schwarz-weiß, sprich Home-Office oder Büro. Die Mischung macht’s?! Auch klar. Dennoch bin ich überzeugt, dass (mehr) Home-Office nur dann gut funktionieren kann, wenn gleichzeitig Strukturen im Büro in Hinblick auf ein mehr an Begegnungsräumen und einem mehr an Zeit für persönlichen Austausch ausgebaut werden. Damit das, was im „Büro-Zuhause“ versäumt wird, nicht komplett unter den Tisch fällt: das (Zwischen-) menschliche, die Kultur.